2000
Neues Leben
Es ist Samstag. Eine Winternacht, wie sie sein
soll. Die Schneeflocken rieseln im Schein der
Lichter. Mama weiss noch nicht, was ich beschlossen
habe. Es ist fast Mitternacht. Ich will jetzt
auf die Welt. Der Rettungswagen bleibt im Schnee
stecken.
Papa fährt uns schliesslich selbst nach Zams.
Mittlerweile ist’s Sonntag geworden, der 23.
Jänner 2000. Warten. Wehen. Warten. Wieder Wehen.
Ich höre Hebammen, einen Doktor. Irgendwelche
Hörapparate werden an Mamas Bauch befestigt.
Beruhigende Stimmen, aufgeregte auch. Alles
dreht sich um mich, der ich mich hier drinnen
wohlig auf meinen Auftritt vorbereite. Auf jetzt.
Ich will das Draussen kennen lernen. Es wird
eng und anstrengend. Mama hilft mir, die Hebamme,
der Doktor auch und Papa, soweit er kann. Es
blendet hell, ich kneife die Augen zusammen.
Licht und Luft. Ich hänge kopfüber, an den Beinen
gehalten und - atme. Ein Willkommen, ein befreiender
Schrei in diesen Sonntagnachmittag. Eine ganz
feine Wärme empfängt mich an Mutters Brust.
Doch der Ernst des Lebens beginnt: Gewaschen
werden, die Nägel geschnitten (die junge Hebamme
zwickt mir mit der Schere auch gleich ins Fingerchen),
die Haare gebürstet und Öl auf die Haut. In
Decken gewickelt und endlich - ausruhen, schlafen,
herrlich träumen. Aufregend, so ein erster Tag
auf der Welt.
Verwandtschaft
Eltern, Grosseltern, Onkel und Tanten
Mama Sabine ist immer bei mir. Ihre Hände sind
noch unsicher, wenn sie mich anfasst oder auf
den Arm nimmt, aber so zärtlich. Ich lerne zu
trinken und das macht müde. Ich mag meine Träume.
Papa ist wohl älter als ich ihn mir vorgestellt
hatte. Aber er hält mich fest, weiss mich zu
wickeln und ist so richtig stolz auf mich. Ida
und Erich schauen vorbei, Hermine und Herbert
auch, all’ meine Grosseltern. Onkel Tom, Mamas
Bruder bringt gleich einen Anzug mit und Brigitte,
Jeanette, Erich und Siegmar schauen nach mir.
Und alle haben noch Begleitung dabei. Dann lerne
ich meine Brüder kennen. Sie staunen, Hannes
und Mike, und sind etwas unbeholfen. Wie soll
ich mir diese Namen alle merken? Viel Trubel
also, während draussen der Winter alles weiss
gebettet hat. Ich werde treppab getragen, durch
Türen ins Freie, frische Luft für meine Nase,
ganz anders als bei den freundlichen Schwestern
auf der Station. Etwas brummt, leicht schaukelnd
fahren wir nach Hause.
Zuhause
Thomas-Walch-Villa
Komische Laute. Ein Hund bellt neugierig und
Katzen miauen. Helle Räume, sonnendurchflutet.
Rhythmus bestimmt mein Leben jetzt. Trinken,
Schlafen Spazieren, Baden. Ernst trägt mich
jeden Tag zum Starkenberger See, auch wenn Mama
mal keine Zeit hat. Geschichten werden erzählt
und meine Zunge wird diese Worte irgendwann
auch sagen wollen.
Die Roller und Scheller machen ein Gangl für
mich, der ich im Snuggly an Papa geschmiegt
als echter Imster gleich dabei sein will. Im
Café Azzurro treffen
wir Freunde. Bei Papas Fünfzigstem werde ich
von allen verwöhnt und nasche von den Köstlichkeiten.
Im Juni komme ich unerwartet wieder nach Zams.
Opa Erich hat sich ein Bein gebrochen, wir besuchen
ihn. Wir sehen uns ein letztes Mal. Mein erster
Zahn kommt, aber ich trinke noch bei Mama. Marie
herzt und füttert mich, nimmt mich mit auf Spaziergänge
und zu ihren Geschwistern. Gerne sitze ich im
Garten, spiele mit Klötzen und Ameisen, sportle
am Trapez und beisse in unreife Äpfel. Ich kann
mich schon leidlich fortbewegen, schaffe unsere
Treppe vom Wohnzimmer im ersten Stock im Krabbelgang
und interessiere mich für alles, was die mir
verbieten wollen. Ich liebe meine Bücher, diese
Geschichten von fremden Welten. Ich mag Märchen
eben.
Jahreszeiten
Herbst 2000
Lucie wedelt aufgeregt, springt aus dem Wagen.
Über den Kopf von Papa hinweg sehe ich die Alm.
Ein strahlend feiner Herbsttag. Ich nage an
der Kordel und schaue ins Land hinunter. Papa
fotografiert, schreibt mich ins Gipfelbuch.
Christian Leiter, 8 Monate, hier auf der Plattein.
Während Dohlen um das Kreuz kreisen gefällt
mir der Gedanke, irgendwann selbst hier herauf
zu steigen in diese
Bergwunderwelt. Abends, nach dem Zähneputzen
- wie viele habe ich eigentlich - noch ein paar
Bücher lesen, die Kuscheltiere zugedeckt und
sich zwischen Ma und Pa hinstrecken und die
Träume in den Kopf lassen.
Alle Grossen haben nur kurze Hosen an. Sie liegen
auf Matten, mit Sonnenbrille, lesen und trinken
und lachen. Dann steigen sie in den See und
kommen nass wieder an Land. Ich versuche, Mama
nachzuschwimmen. Nicht einfach, mit diesem Reif
um meine Brust. Aber es spritzt herrlich, wenn
ich ins Wasser klatsche, so dass Sabine – wie
Pa Ma nennt - sich die Augen auswischt.
Dezember.
Der Schnee lässt auf sich warten. Eine
kleine Kapelle, prall gefüllt. Alle sind sie
gekommen. Wasser rinnt über meine Schläfe.
Gregor spielt die Gitarre. Es klingt
herrlich in diesem kleinen Rund. Ich bin
froh und übermütig. Meine Zunge plappert
ständig die paar Worte, die ich schon kann.
Ich springe im Kirchlein herum und der
Pfarrer muss mich einfangen. Ein gelungenes
Fest.
Mobil ins
zweite Jahr
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Zeitraffer
2001
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Rodelpartien, Dreitagesfieber im April, eine
Reise nach Hallstatt, Erstkommunion meiner
Cousine Daniela, Mc Donalds, Regentage
folgen Sonnentagen und ich werde nie
vergessen, wie sich Sarah mit heissem Kaffee
verbrüht und das metallische Schnipp-Schnapp
der Schere der Friseurin. Worte merken ist
kinderleicht. Detektiven verrate ich meine
Namen, Alter und Adresse und unsere fünf
Enten werden abgezählt. Hannah hat eine
Wanne auf der Terrasse und so viel anderes
Spielzeug. Ich habe auf einen Schlag drei
Cousins bekommen, die Drillinge Jan, David
und Marco. Zu ihnen ins Krankenhaus darf ich
nicht rein, werde sie aber im Herbst
treffen. Oma Hermine hat immer viel Zeit für
mich, spielt und liest mir vor, wenn wir
nach Nassereith fahren. Sie trägt einen
Zopf, schlohweiss, so lang wie Rapunzels,
echt.
Elefanten und Kamele sind imposant, aber das
Nashorn im Münchener Zoo sieht den Dinos
doch am ähnlichsten. Papa schmeisst mich in
den Himmel, fängt mich auf, wirbelt mich
herum, das gefällt. Im September machen wir
eine weite Wanderung, über den
Scharnitzsattel mit Onkel Siegmar und Cousin
Markus. Auf der Maldon
lässt es sich herrlich spielen und Kühe,
Schweine und Schafe schauen mich mit grossen
Augen an. Liftfahren ist ohnehin meine
Lieblingsschaukel und auf der Latschenhütte
gibt’s ein Ringelspiel.
Oktober. Die Bahn rattert durch den Tunnel.
Gleissend die Sonne oben und alles weiss -
schon Winter? Zwei Bretter werden an meine
Füsse geschnallt. Wie soll ich damit gehen
können! Aber dann macht’s riesig Spass,
zwischen den Beinen von Onkel, Ma und Pa den
Hang runter zu rutschen. Mein erstes
Ski-Erlebnis ist ein Riesenerfolg.
Planetenbahn und synapsen
Ein neues ... 2002
Im Jänner darf ich in Hoch-Imst mit dem Kinderlift
fahren. Super. Papa denkt, was ich mag wäre:
Skilift fahren, möglichst mit dem Sessellift,
beim Rodeln schlafen, ganz genüsslich um Mitternacht
zu Bett gehen, und dann noch widerwillig; Schneewittchen,
Tarzan, Heidi und Pinocchio schauen und Bücher
lesen - und liegt nicht ganz falsch damit.
Eine weisse Torte mit zwei Kerzen zum Geburtstag
bekommen. Tolles Fest. Die Schaukeln auf dem
Spielplatz können nicht hoch genug schwingen.
Ich mag wild sein, auf alles rauf klettern.
Eine Mutprobe täglich gehört schon dazu. Besucher
unterhalte ich mit Zitaten aus dem Struwwelpeter,
lustige Geschichten, die ich mir merken wollte.
Papa meint, das Gehirn würde so alles steuern.
Jedenfalls hilft es mir beim Puzzle-Spielen.
Die sollten mir ruhig grössere zumuten. Am Starkenberger
See habe ich jetzt meine eigene Route, eine
Balancier-Strecke, die bei Regen richtig schmierig-rutschig
wird. Die würde den Steinböcken im Alpenzoo
auch gefallen und warum sind die Otter denn
nicht im Starkenberger See?
Die Ministranten schwingen das Weihrauchfass,
ein interessanter Duft dringt an die Nase. Begräbnis.
Oma Ida ist plötzlich nicht mehr da. Aber ich
habe Fotos von ihr - und Opa - und
Erinnerung. In Brennbichl werden die Drillinge
getauft, ein grosses Fest nur in der Kirche
wird mir langweilig.
Mittlerweile koche ich gerne. Geschirr klappert
so schön und die Masse klebt fein und überall.
Ich weiss gar nicht, warum Mama so entsetzt
schaut. Den Chef vom Café Lichtblick mag ich.
Bei dem darf ich alles machen und kriege
immer eine Kleinigkeit. Und beim Lift fahren
schaffe ich es jedes Mal, den Störungsknopf
zu drücken - stopp. Papa telefoniert dann mit roten Ohren und entschuldigt sich irgendwie
- dann fährt der Korb mit allen unseren Mitfahrern
auch weiter. Warum die nur so auf mich schauen?
Jedenfalls sind die Treppe zur Aussichtsplattform
und diese selbst ein super Spielplatz.
Waldarena sagen die Erwachsenen zu diesem Platz.
Komisch, mit
steinernen
Löwen, mit Säulen und einer runden Riesentreppe,
auf der die vielen Kinder sitzen. Der Toni macht
eine Lokomotive nach. Die Lieder gefallen mir,
Bluatschink und der Breitmaulfrosch und die
Gitarren. Die Saiten schwingen wie das Trampolin
am Spielplatz.
Das Passwort für den Computer habe ich längst
herausgefunden. Die denken, man müsse lesen
könne, derweil sind Beobachten und etwas Hausverstand
alles! Und was in diesem Apple steckt! Trotzdem,
fast reicht der Tag nicht für meinen Lego, den
Matador, den Brunnen im Garten und die Puzzleteilchen.
mal schaun
Mein viertes Jahr 2003
Die
Skilehrerin gibt sich redlich Mühe, aber
noch will ich meinen Stil beibehalten. Einen
Bogen mache ich dann und wann, dafür kriege
ich ein Gummibärchen. Diese Skikurs-Woche
ist vergnüglich. Auch Opa trägt übrigens
einen roten Anorak mit Abzeichen wie die
Skilehrerin. Er zeigt mir so seine Tricks.
Sie sagen es wäre Februar. Es schneit. Wir
steigen in den Zug. Ma und Pa haben da auch
Zeit für mich. Allerdings ist meine knapp,
muss erst entdecken, was es alles gibt. Ein
blauer Wuschelkopf, eine feuerrote mit
Zöpfen - ich ziehe mir Perücken über. Der
roten Nase flitzt das Gummiband davon, das
ich mir über den Kopf gezogen hatte -
Fasching
und
Lachen. Wir lachen das ganze Jahr.
Der Schnee ist geschmolzen. Ich finde jetzt
im Garten bunte Eier unter Sträuchern und goldene
Hasen, die ich gleich untersuche - und esse.
Ostern. Mein Zug bekommt Zuwachs. Thomas und
andere Lokomotiven und Waggons dampfen auf den
Geleisen dahin. Ich sehe nur Hosen in allen
Stoffen und grobes Schuhwerk. Lauter Knie ringsum
und Finger, Hände, Stöcke. Opa schiebt mich
ans Fenster und schon schwebt die Gondel davon.
Seilbahn. Zugspitze. Pommes und Ketchup
im Restaurant. Paradiesisch. Nachmittags besuchen
wir von Zeit zu Zeit die Kletterhalle. Mich
interessiert ja der Spielplatz dahinter weit
mehr. Da gibt’s einen Kettenaufzug für Sand,
einen
Sandtrichter und ein rotes Rohr. Ich treffe
Peer und wir ahnen beide nicht, dass wir einstens
zusammen im Kindergarten sein werden. Ein riesiger
LKW steht vor der Landhausgarage. So
nahe habe ich diese schwarzen Koloss-Reifen
noch nie gesehen. Ich habe Mühe auf Zehenspitzen
stehend den ersten Tritt zum Fahrerhaus zu greifen. Der knallgelbe
Kipper könnte gut und gerne unser ganzes Haus
auf einmal aufladen. Bei der Grösse hätte er
auch keine Chance, in den dicken Bauch der Fähre
zu fahren.
Das Land verschwindet langsam, rundherum nur
Wasser und ich merke kein Schaukeln, nur eine
leichte Brise streicht übers Deck. An der Bar
besorge ich mir M+Ms und füttere Mama.
Das fremde
Bett spielt keine Rolle. Ich träume fest und
am nächsten Morgen werde ich der Star beim Frühstücksbuffet
sein. Das Meer ist herrlich, die Wellen, auch
der Sand und die Zeit die Ma und Pa plötzlich
haben. Die Leute sprechen ganz anders hier,
italienisch und französisch oder korsisch oder
so. Englisch jedenfalls nicht. Der Venet steht
noch da. Ich weiss nicht, was Papa an dem so
mag. Die Tische vor der Alm sind schon leer,
als wir vom Gipfelkreuz zurückkommen. Die Limonade
schmeckt - Almdudler statt Orangen- oder Apfelsaft,
und Cola schmeckt mir jetzt nicht mehr. Vom
Scheibenbühel aus fotografieren wir das Zirkuszelt,
das der Art Club für die Sänger aufstellt. Papa
ist jetzt eine zeitlang nie zuhause. In der
Werkstatt von Wilfried riecht es nach Formalin.
Das Bergschaf mit den riesigen Hörnern gefällt
mir am besten, aber auch die kleinen Vögel und
das Murmeltier. Fuchsfelle liegen da herum und
alles, was Jäger so schiessen. Papa hält nicht
viel von der Jagd mit der Flinte, eher schon
von der mit dem Fotoapparat. Doch der Beruf
des Präparators ist spannend. Das Café ist gleich
oben, der Spielplatz ums Eck und in den See
bin ich schon gefallen - nass uns sehr kalt
war’s. Bei heissem Wetter spiele ich am Bergbach.
Mein Bagger baut Dämme und das Wasser spritzt.
Beim Weg ins Tal hängt heute ein Vorhang über
der Rosengartenschlucht - aus leeren Plastikflaschen
wird erklärt. Wozu? Kunst wäre das...
Ein herrlicher Sommer, rundherum. September.
Die Runden um den Starkenberger See bleiben
im Programm. Mit Lucie und Papa meistens, bei
Wind und Regen und jedem Wetter. Endlich darf
ich jetzt die Kindergartentasche mitnehmen.
Um neun Uhr treffe ich meine Freunde im Kindergarten
Rennstrasse. Eine Menge Spielsachen haben wir
da - doch muss man die teilen. Ein Fotograf
kommt. Beim Laternenfest ziehen wir durch die
Stadt. Alle Leute schauen auf unsere leuchtenden
Lichter, es ist schon dunkel, und ohne Fehler
schaffen wir das Lied in der Johanneskirche.
So vergeht die Zeit im Flug, Das Christkind
hat meinen Brief gelesen und unterm Christbaum
steht ein Kripplein. Die Kerzenwachs riecht
gut, das feine Essen auch. Neujahr darf ich
aufbleiben. Die Raketen zischen in die Nacht,
zerplatzen in einen Farbenwasserfall. Jetzt
bleibt nur noch, auf meinen Geburtstag zu warten.
Veränderung
Schritt um
Schritt
2004
Wir stapfen durch den Schnee. Der See ist zugefroren,
das Eis mit Schnee bedeckt. Die Eisstockschützen
kehren sich eine Bahn blank und glatt, da will
ich morgen hin. Die Ferien sind vorbei. Vormittags
basteln wir im Kindergarten, nachmittags dann
Rutschen - beim Skikurs in Hoch-Imst. Abends
komme ich kaum zum Spielen, so müde bin ich.
Aber die Medaille beim Schlussfest war’s wert.
Aufregung! Das Telefon klingelt am frühen Nachmittag.
Papa muss zu Gertrud, der Mutter von Hannes
und Michael. Sofort, es brennt. Es riecht
nach Verbranntem, im Schnee vor der Türe liegen
schwarz und zerstört Sessel, ein Schreibtisch,
Computer
und
Radios. Im Haus ist alles voller Russ, schwarz
und schmutzig nass. Nur aus dem Rest eines Malkasten
leuchten noch die Wasserfarben. Die Feuerwehr
hat den Brand gelöscht, aber meine Brüder müssen
ausziehen, sind noch fassungslos. Zwei Gendarmen
- heute heissen die ja Polizisten - steigen
über Haufen von geschmolzenen CDs und verbrannten
Büchern und Kleidern. Soviel Kraft hat die Hitze
des Feuers also.
Super. Mama hat ein Harry-Potter-Kostüm besorgt;
mit Umhang, Brille und Zauberstab. Die Narbe
schminkt sie mir auf die Stirn. Voilà. Die Märzsonne
hat den Schnee verbrannt. Ich kraxle auf die
Strickleiter am Baum und bin Fotomodell für
Papa. Darnach beschliesse ich, unseren Springbrunnen
zu reinigen. Das Wasser lässt Algen, braun und
grün und schwarz wachsen. Weg damit. Klatschnass
bin ich - so schmutzig wie der Brunnen. Am letzten
März heisst’s Schnuppern. Am Sonnberg ist Treffpunkt.
Eine Menge Kinder sind da, die Drillinge kenne
ich. Wir sitzen auf Matten und Heike - die grosse
Dame - erzählt ein Gedicht und spielt mit den
Fingern. Das merk ich mir sofort! Im Wald klettern
wir auf Böschungen, rutschen runter, balancieren
auf Baumstämmen und tragen Äste zusammen. Was
Neues hier. Nicht viel Neues sonst: Aufstehen,
Zähne putzen, Kindergarten, Essen, Spielen,
Starkenberg, Zähne putzen, Träume in den Kopf
holen, dazwischen mal Einkaufen, mal Spielplatz,
mal Besuche bei Oma oder Freunden. Manchmal
darf ich bei Marie bleiben - ihr wisst - wenn
meine Eltern ausgehen. Muttertag - Mama freut
sich über das Geschenk, das ich im Kindergarten
gebastelt haben. Und jetzt gibt’s als Nachtisch
Eis, Onkel Tom hat das für mich bestellt.
Zu Besuch bei meinem Cousin Simon krieg immer
alles was ich mir nur wünschen kann. Spielsachen
hat der und hinterm Haus einen richtigen Spielplatz.
Die Hotelgäste kennen uns beide schon, wie wir
durchs Restaurant flitzen, nicht immer leise,
zugegeben. Aufregend.
Wir brausen mit dem Alpine-Coaster
von der Alm. Ich schreie vor Gaudi, schneller.
In den Kurven drückt's mich gegen Papas Knie,
schaukelt’ und rattert' von Links nach Rechts.
Cool. Baumhoch hüpfe ich in den Himmel. Der
junge Mann am Trampolin lässt mich immer höher
schnellen. Nur den Salto trau ich mir heute
noch nicht zu, schaue aber neidvoll auf das
Mädchen, das den so leicht dreht, so feenhaft
in den Seilen hängt.
Ich mag Mamas
Stimme, wenn sie mir vorliest. Meist sitze ich
auch ganz gesittet, ganz Ohr. Manchmal aber
puste ich Seifenblasen in ihr Haar oder mache
anderen Unsinn, wie mit dem Matador-Hammer Teller
austesten. Im Garten wachsen Gänseblümchen,
fast das
ganze Jahr über. Papa darf die nicht mit dem
Rasenmäher köpfen - ich mit den Fingern schon.
Eingeladen bei den Drillingen geben wir alle
Vollgas, Geburtstag will gefeiert sein. Die
Sonne brennt heiss auf die Terrasse, der Ball
fliegt über die Brüstung und die Tante hat tolle
Spiesse zum Essen bereitet. Die Ferien sind
fast vorbei. Beim Zammer Loch bin ich ganz nahe
am Wasserfall. Im Stollen ist’s kalt trotz der
Sommersonne draussen.
Heike heisst uns willkommen
und Sandra hat die Gitarre mitgebracht. Meine
Freunde von vor dem Sommer sind nicht gekommen.
Wir pendeln zwischen Moosplatz, Baumplatz und
Sonnenplatz hin und her. Zwölf sind wir, meistens.
Eines Tages
überrascht uns ein Bauer beim Spielen und verjagt
uns von der Wiese, die doch uns allen gehört.
Regeln haben wir gelernt und die Hände zu waschen,
vor der Jause. Sandra kommt nicht mehr.
Mit Monika kneten wir Lehm beim Töpfern. Anne
spricht auch französisch und spielt Querflöte,
aber viel zu selten. Beim Laternenfest treffen
wir uns Abends. Am Sportplatz bei der Kletterhalle
kommen die Kinder von überall her. Meine Kerze
verlöscht bei einem Windstoss, sie ist gleich
wieder entfacht. Wir tanzen am Rasen und haben
die Laternen in den Kreis gestellt. November. Törggelen in Südtirol mag ich auch. Die Leute
kenne ich. Die Musiker spielen ganz andere Lieder
als mein Bruder Hannes. Zwei Ziehharmonikas
und Gitarren bringen mich zum Tanzen, mitten
zwischen den Röcken und Hosen der grossen.
Mama malt
im Haus in Nassereith, wir fahren Böden kaufen
und sonstigen Krimskrams. Leute kommen in unser
Haus, das bald leer stehen wird. Kriegen Kaffee
und Kekse un
d fragen meine
Eltern. Onkel Tom hilft Opa und Papa in Nassereith
auf der Baustelle. Papa trägt eine komische,
rote Latzhose. Wir fahren jetzt oft hin und
her. Die Autos werden eingeladen und ausgeladen
- übersiedeln. Ein Raum nach dem anderen wird
leer in Imst, die Küche zuletzt. Die Tiere kommen
mit. Die Enten, zwei Erpel davon, die Katzen
Muinz und Jago und Lucie natürlich, mein lieber
Dalmatiner. Und
bei den Enten passiert etwas: Kaum steht die
Käfigtüre nach der Fahrt offen, flattern sie
ganz unerwartet über die Böschung zum Nachbarn
und weiter in die Felder. Zwei bleiben für immer
verschwunden und haben sich vermutlich am Nassereither
See eingelebt, zwei findet Grossvater wieder.
In Imst
bin ich jetzt
nu
r noch selten
. Wenn ich
aber durch die leeren Räume tobe, hallen Schritte
und Schreie jetzt richtig laut. Grad vor Weihnachten
schlafen wir dann alle im neuen Haus. Geschafft.
Gurgltal
wo ich so lebe
(2005)
Mit Kreide
malen sie Zeichen an die Haustüre. Die vom letzten
Jahr kann man i
n Imst noch
sehen. Dreikönige verkleidet. Sie singen und
greifen zu, als es zu Essen und zu Trinken gibt.
Die ganzen Tage seien sie schon unterwegs und
langsam müde. Die Krippe wird abgebaut, ich
sortiere die Figuren in die Schachtel. Herbert
raucht seine Pfeife, oder würde er gerne. Ich
hab’ ihm den Tabaksbeutel versteckt. Draussen
ist’s kalt, Reif ziert die Bäume und glänzt
im Licht. Opa fährt mir voraus, legt eine gute
Spur vor, der ich mit etwas Schwindeln im Schneepflug
folgen kann. Biberwier heisst es hier - das
reimt sich, oder?
Auf Ötz fällt mir nichts ein, Skifahren im Sonnenschein
vielleicht? Die Wiesen-Wichtl bauen ein Iglu,
so ein Schneehaus wie die Eskimos. Nach Bauplan
schaffe ich jetzt die Mädchentoilette in Lego,
genau wie im Film, oder den Doppeldecker-Bus,
den fahrenden Ritter.
Merkt er denn nicht, dass ich’s fast nicht mehr
schaffe.
Der
Schnee ist so tief. Der Sportplatz unendlich
lang und der Weg zur Grotte zu steil heute.
Ich lege mich jetzt einfach in den Schnee. Papas
Hand streicht mein Gesicht, er nimmt mich auf
seine Schultern und trägt mich heim. Fieber
gemessen - wieviel? Zuviel! Frau Doktor Rossetti
hat interessante Instrumente. Mit dem Stethoskop
hört sie meine Lunge ab, eine Taschenlampe leuchtet
meine Ohren aus und ein simples Holzstäbchen
drückt mir die Zunge beim Ah-Sagen nieder. Sie
tastet am Hals und überall, ist nett. Papa bekommt
eine Tasse Kaffee und ich? Frau Doktor schreibt
ein Rezept. In der Apotheke bekomme ich von
der Dame Traubenzucker und ein Heftchen. Wie
aber wird die Medizin schmecken? Daheim schlucke
ich den bitteren Sirup, gar nicht so schlimm.
Kleine Tabletten dann am Abend - auch nicht
so schlimm. Ich will gesund werden.
Am Stadl im Gurgltagl wird Hand angelegt. Wir
Kinder spielen und klettern und unsere Eltern
putzen und sägen und nageln. Den richtigen Kindergarten
scheinen alle vergessen zu haben. Wir Kinder
treffen uns jetzt in Strad und gehen zum Stadl.
Auch nicht schlecht, nur schade, dass der Bauer
das Kraxeln am Kletterbaum verboten hat. Dafür
kommt Gerda und spielt mit uns. Und für den
Kameramann - der schon am Sonnberg dann und
wann gefilmt hat - machen wir Faxen,
schauspielern eben.
Mama ist nicht unbedingt
erfreut, als ich alle ihre Schlümpfe ins Wohnzimmer
schleppe, doch Papa nutzt die Gelegenheit und
fotografiert so die Hundert und Einen Schlümpfe.
Und jetzt soll ich aufräumen? Keine Zeit, Fussball
steht am Programm. Die Trainer schicken uns
die Bälle zu, ich treffe nicht immer und alle
anderen sind ein Stück grösser als ich. Mal
schauen, ob ich das mag. Es ist soweit. Wir
fahren frühmorgens und am
Kreisverkehr
sind riesige Lego-Bausteine. Was für eine Menge
von Kindern und Leuten steht da Schlange. Ich
suche mir ein schattiges Plätzchen und warte,
bis Mama die Tickets ergattert. Die Schleuse
öffnet sich, ich bin durch. Gehupe von Zeit
zu Zeit und dort fährt eine runde Plattform
in die Höhe, höher als ein Kran wohl, und
dreht sich. Eine ganze
Stadt, eine ganze Welt nur aus Lego. Eine Fähre,
ein Dampfer, Hubschrauber und Häuser. Die Lego-Eisenbahn
auch. Alles bewegt sich. Dort sitzen die Kinder
wie in einem Karussell in gelben Gondeln am
Wasser. Das Ding bewegt sich und schleudert
die Fahrer kreisum herum, dass es nur so spritzt.
Aha, hier unten - im Keller des Kletterlandes
sozusagen - machen die Erwachsenen Pause im
Schatten. Jetzt muss jede Nische erforscht werden.
Die Rutsche links oder rechts zuerst? Alles
erfahren und abgefahren, nichts wie raus, ich
brauche eine Limonade. Lauter Gesichter, die
ich nicht kenne. Es wimmelt, so viele Leute
und Kinder, ich mitten drin. Wo ist Papas Hut?
Von da drüben müssen wir gekommen sein. Nein.
Schau dich um. Nein, da sind sie auch nicht.
Alle gehen an mir vorbei und staunen und lachen.
Wo bin ich gewesen? Ein komisches Gefühl schleicht
sich in den Magen. Verirrt. Mama und Papa verloren.
Dir Frau im blauen Kleid merkt es zuerst. Sie
beruhigt und fragt mich. Jetzt kommt’s drauf
an! Christian Ernst Leiter aus Nassereith, St.
Wendelin. Und Papa trägt einen schwarzen Hut
und hat silberne Haare. Die Dame nimmt mich
an der Hand, bringt mich in ein Büro. Eine Sekretärin
lächelt mir zu, schreibt meinen Namen auf. Ja,
beim Kletterturm sind wir gewesen. Ein Mann
in dunkler Uniform mit goldenen Verzierungen
geht mit mir wieder dorthin, zielstrebig durch
die verwirrenden Gassen und Gänge, voll mit
lachenden Kindern. “Kommt da dein Vater?”, fragt
er. Ja, Gott sei Dank, er hatte mich schon gesucht
während Sabine zum Büro gelaufen war. Der Wärter
spricht mit Papa und meint, dass meine Beschreibung
ganz zutreffend gewesen sei. Endlich hält er
mich fest, kein bisschen verärgert. Es wird
ein wunderfeiner Tag.
Unruhe hinterm
Haus. Schnatternd flüchten die Enten unterm
Zaun durch. Agnes hüpft mit ihren Brüdern am
Trampolin. Ich kraxle auf die Kletterwand, in
einer Hand die Giesskanne - das können die grossen
nicht. Fang! Wir werfen abwechseln Ball, einer
fängt am Trampolin springend. Mit der Brust
knallt Max ans Gestänge und ringt nach Atem.
Fang! Ich zeige ihm das Faltblatt mit den Warnhinweisen,
er sollte lesen können. Weiter!
Ich kenne
die Strecke. Der Fernsteinsee grün und rechts,
die Zugspitze mit den Seilbahnstützen, Garmisch
hat ein Mc Donalds dann Autobahn. Ein Nickerchen.
Auto neben Auto im Neonlicht. Grüne Türen führen
in eine lange Halle. Quietschend hält der Zug.
Licht und Dunkel huscht an den Fenstern vorbei
derweil unser Gegenüber, ein schwarzer Junge,
in einem Fix
und
Foxi Heft blättert. Wir funktioniert das, wenn
sich die Schiebetüren mit einem leichten puffen
öffnen? Blauer Himmel und eine Wolke - und es
regnet. Die Ampel schaltet auf grün, eine ältere
Dame bleibt mit ihrem Kofferwagen in den Geleisen
hängen. Ho Ruck. Danke. Zuerst will ich jetzt
ein Eis. Eine breite Treppe und hohe Säulen,
ein Gang und Papa studiert die Schilder. Nichts
wird’s mit dem Eis. Riesig liegt das Segelschiff
- hier im Keller. Eine Schatztruhe mitten in
der Kajüte. Im Führerhaus der roten Feuerwehr
sitzen die Kinder schon dicht an dicht, keine
Chance für mich. Strommaschinen, Finger auf
die Knöpfe. Wasserspiele, Kübel in die Rinnen.
Jetzt spazieren wir durch einen Darm, am Magen
vorbei. Der Raum ist dunkel, ein runder Tisch
in der Mitte mit einer Glasplatte, darunter
ein trichterförmiges Loch in der Mitte. Was
können diese Knöpfe an der Seite. Schau! Eine,
zwei, drei verchromte Kugeln schiessen auf die
Ebene, kreisen auf der flachen Schräge. Sie
werden schneller, immer schneller, je näher
sie dem Trichter kommen. Kreuzen ihre Bahnen.
Jetzt, schon irrwitzig schnell kreist die Kugel
enge Bahnen an der steilen Trichterwand und
verschwindet schliesslich. Das Planetenspiel
gefällt mir. Auf dem Bauch obenauf liegend,
um die Planetenbahnen genau beobachten zu können,
höre ich dem Kugelrollen zu. Zu dumm, andere
Besucher wollen jetzt auch Planetenbahnen studieren.
Zimmerarrest. Was will er denn? Ich will
doch! Ich will alles das tun, was er nicht
will. Mal schauen, wie weit ich gehen kann.
Etwas Gebrüll. Hilft nicht. Ich bin zornig,
zeige das.
Nützt
nichts. Mein Fuss schwingt zum Legohaus. Die
Bausteine fliegen im Zimmer umher, mit
Gerassel. Keine Veränderung. Er meint sonor,
ich solle meinen Kopf zur Ruhe kommen
lassen. Wart nur! Widerstand. Die Zeit
zerrinnt. Ich möchte spielen, kann aber
nicht, mein Kopf lässt noch nichts zu. Das
dauert. Muss mich wohl entschuldigen. Wie
mache ich’s? Ich zeichne diese Szene, Papier
und Bleistift her für das Ritual. Ich gebe
die Hand, auf dem Blatt, zur Entschuldigung.
Er nimmt die Hand an – auf dem Blatt. „Papa,
schau auf den Teppich runter“ – aha, ich
spreche wieder mit ihm. Er sieht das Blatt
auf dem Boden, kommt die Treppe runter,
faltet es auseinander. Er lobt mich – das
tut gut.
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